Larifarismus

Larifarismus

"Larifari" ist ein schönes Wort: wenn uns beim Singen der Text nicht mehr einfällt, dann singen wir einfach la-la-la. Menschen, die das Singen vielleicht etwas ernster nehmen, singen dann die Namen der Noten nach dem alten do-re-mi System (Solmisation) und dann kann es schon mal la-re-fa-re lauten (ein d-Moll Dreiklang) und daraus ist dann "Larifari" entstanden, also eigentlich Silben ohne Sinn, nur Melodie.

Meine Kinder liebten "Das große Lalula" von Christian Morgenstern beim abendlichen Vorlesen:

    Das große Lalula
        Kroklokwafzi? Semememi!
        Seiokrontro - prafriplo:
        Bifzi, bafzi; hulalemi: 
        quasti basti bo... 
        Lalu lalu lalu lalu la 
            . . . .
Ein schönes Nonsens-Gedicht, in das man vieles reinlegen kann, also ein echtes Larifari Gedicht. In der Poesie geht es oft mehr um die Stimmungen, die mit Worten erzeugt werden, als um die eigentliche Bedeutung der Worte selbst, und das ist auch schön so.

Bedenklich wird es, wenn uns Larifari-Text als echter Inhalt oder gar als tiefe Einsicht verkauft werden soll. Das will ich "Larifarismus" nennen. Also "Larifari", ein Text, der nur durch seine Melodie, seinen Stil wirkt, nicht durch seinen Inhalt und "-ismus", da es sich um etwas systematisches, oft ideologisches handelt. Übrigens gab es im Juni 2010 bei Google nur einen einzigen unbedeutenden Treffer für "Larifarismus". Ich finde das Wort ist ein vielversprechender Mem-Kandidat.

Wie aber kann man Larifarismus erkennen? Ganz einfach: vertausche ein paar sinnstiftende Worte in einem Text durch sinnfremde andere Worte. Wenn der Text dann immer noch eine tiefe Einsicht vermittelt, dann kommt die Einsicht wohl nicht von den Worten, dann ist der Text "Larifari", also bloße Melodie.

Ich habe mal einen Versuch gemacht mit einem längeren Zitat von Karl Rahner, vielleicht dem bedeutendsten deutschen, katholischen Theologen des 20 Jahrhunderts.

Dieses längere Zitat von Rahner kommt hier in drei Ausführungen. Einmal das Originalzitat und zwei fast identische Kopien, in denen ich nur die wesentlichen Worte systematisch durch völlig andere, oft konträre ausgetauscht habe. So haben z.B. die Hauptbegriffe in der Überschrift - Geduld, Gnade, Gegenwart - außer ihrem Anfangsbuchstaben kaum etwas gemeinsam.

Und ich verrate nicht, welches das Original und welches die völlig sinnfreien Fälschungen sind. Das müsste man ja sofort sehen, vorausgesetzt das Originalzitat hat einen Sinn. Hier die 3 Zitate:

Von der Geduld
Wir aber sind die wissend Zeitlichen. Wir haben noch, was wir hinter uns lassen, wir greifen schon wissend vor auf das noch Ausständige. Wir leben die Bewegung als solche selbst, wir sind die Erfahrung des Ineinanders von Vergangenheit und Zukunft. Wir können nicht nur nicht verweilen, wir können uns auch nicht verbergen, dass wir es nicht können. Die nicht abreißende Einheit der Bewegtheit unseres Daseins, die um sich weiß, der gewusste Zusammenhalt des Weitermüssens unserer Existenz ist die Geduld des Daseins, das seine Bewegung duldend, sich in seiner Einheit durchhält. Aber, was wir unweigerlich sind und haben, das ist auch noch einmal das uns Aufgegebene, das Verfehlbare, dasjenige, was in Treue und Tapferkeit, im Mut zum eigenen Wesen getan werden muss. Denn die Strukturen der geistigen und freien Person sind zugleich das Selbstverständliche und Unverlierbare und die geheimnisvolle, der Freiheit überantwortete Aufgabe.
(Karl Rahner, Schriften zur Theologie VII, S. 269)

Von der Gnade
Wir aber sind die ahnend Zeitlichen. Wir haben noch, was wir hinter uns lassen, wir greifen schon ahnend vor auf das noch Ausständige. Wir leben die Bewegung als solche selbst, wir sind die Erfahrung des Ineinanders von Vergangenheit und Zukunft. Wir müssen nicht nur nicht verweilen, wir müssen uns auch nicht verbergen, dass wir es nicht müssen. Die nicht abreißende Einheit der Bewegtheit unseres Daseins, die um sich weiß, der geahnte Zusammenhalt des Weiterwollens unserer Existenz ist die Gnade des Daseins, das seine Bewegung duldend, sich in seiner Einheit durchhält. Aber, was wir unweigerlich sind und haben, das ist auch noch einmal das uns Aufgegebene, das Verfehlbare, dasjenige, was in Demut und Dankbarkeit, im Mut zum eigenen Wesen getan werden soll. Denn die Strukturen der geistigen und freien Person sind zugleich das Selbstverständliche und Unverlierbare und die offensichtliche, der Freiheit überantwortete Aufgabe.
(Karl Rahner, Schriften zur Theologie VII, S. 269)

Von der Gegenwart
Wir aber sind die strebend Zeitlichen. Wir haben noch, was wir hinter uns lassen, wir greifen schon strebend vor auf das noch Ausständige. Wir leben die Bewegung als solche selbst, wir sind die Erfahrung des Ineinanders von Vergangenheit und Zukunft. Wir wollen nicht nur nicht verweilen, wir wollen uns auch nicht verbergen, dass wir es nicht wollen. Die nicht abreißende Einheit der Bewegtheit unseres Daseins, die um sich weiß, der erstrebte Zusammenhalt des Weiterkönnens unserer Existenz ist die Gegenwart des Daseins, das seine Bewegung duldend, sich in seiner Einheit durchhält. Aber, was wir unweigerlich sind und haben, das ist auch noch einmal das uns Aufgegebene, das Verfehlbare, dasjenige, was in Geduld und Gelassenheit, im Mut zum eigenen Wesen getan werden kann. Denn die Strukturen der geistigen und freien Person sind zugleich das Selbstverständliche und Unverlierbare und die geahnte, der Freiheit überantwortete Aufgabe.
(Karl Rahner, Schriften zur Theologie VII, S. 269)

Folgende Ersetzungen wurden vorgenommen:

Ja ein bisschen gemogelt habe ich schon, es werden Worte nur durch solche ersetzt, die im weitesten Begriff auch Sinn ergeben, wenn auch einen völlig anderen. So habe ich z.B. in der letzten Tabellenzeile darauf geachtet, dass die Alliteartion erhalten bleibt.

Geduld Gnade Gegenwart
wissend ahnend strebend
können wollen müssen
geheimnisvoll offensichtlich geahnt
Treue und Tapferkeit Demut und Dankbarkeit Geduld und Gelassenheit

Diese Tabelle ergäbe mit allen Permutationen (möglichen Vertauschungen) 243 verschiedene Texte. Hier sind nur 3, das Original und zwei Permutationen, die sich nicht in der Wortauswahl überlappen.

... und hier kommt

Natürlich findet man im Internet schnell die richtige Lösung, aber versuche es doch mal selbst. Wenn du abstimmst, dann wird auch die richtige Lösung angezeigt und noch ein paar Infos drumherum, und du siehst auch, wie die anderen abgestimmt haben (und es werden keine Daten über dich gesammelt)

Welche der drei Versionen ist die richtige, welche Version macht Sinn?
und zur Lösungsseite.

Die Idee zu dem Rahner Experiment kam mir mit der Sokal-Affäre. Ein Physiker schreibt gezielt einen waschechten Larifarismus und hat damit Erfolg.

Keine Angst, ich verstehe diese Überschrift auch nicht. Sie hat nämlich keinen Sinn. Einen Artikel mit dieser Überschrift und ebenso sinnfreiem Inhalt hat ein amerikanische Physiker namens Alan Sokal in der angesehenen Zeitschrift für Cultural Studies "Social Text", die der postmodernen Philosophie nahesteht, veröffentlicht, die ihn anstandslos abgedruckt hat. Das ist natürlich ziemlich peinlich. Sokal wollte damit zeigen wie in Teilen der Philosophie mit Naturwissenschaft umgegangen wird. Aussagen der Naturwissenschaft, die der jeweiligen philosophischen Richtung widerprechen werden abgetan damit, dass man ja in einer anderen Liga spielt, dass ja die Naturwissenschaftler garnicht verstehen, womit man sich beschäftigt. Bekommt man aber Unterstützung von Seiten der Naturwissenschaft, so akzeptiert man diese Autorität bedingungslos und ohne zu hinterfragen und schreibt sie sich triumphiernd auf die eigenen Fahnen. Sokal hat auch ein Buch darüber geschrieben: "Eleganter Unsinn. Wie die Denker der Postmoderne die Wissenschaft mißbrauchen", welches leider nicht mehr lieferbar ist.

Auch die Lyrik ist nicht gefeit von solchen Angriffen:

Das Buch "Die Reise. In achtzig Gedichten um die ganze Welt" (siehe auch diesen Artikel im Spiegel) enthält absichtlich schlechte, auch computergenerierte Gedichte und wurde trotzdem veröffentlicht. Es gibt sogar einige Programme, die synthetischen Text generieren. Z.B. den Postmodernismus Generator der komplette Texte inklusive Fußnoten erzeugt, die völlig sinnleer sind, sich aber ziemlich gut anhören (leider nur auf Englisch). Oder einen Lyrik Generator wie z.B. hier.

In manchen Zeitschriften wird in der Aprilnummer ein Artikel veröffentlicht, der offensichtlich einen Scherz darstellt, und in der folgenden Nummer als solcher geoutet wird. Das sollte ruhig zur ständigen Einrichtung erhoben werden, damit die Leser immer wachsam bleiben.

Rückmeldung, © G. Hofmann, Juni 2010