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Daniel C. Dennett: Darwin's Dangerous Idea Evolution and the Meanings of Life.
Ein Buch über die Evolution, in dem weder Darwin Finken, noch die Reise auf der Beagle, noch Galappagos Schildkröten
eine Rolle spielen.
Es geht vielmehr um die Idee "Evolution" und um die Evolution dieser Idee.
Die deutsche Ausgabe des Buches mit dem Titel "Darwins gefährliches Erbe" ist
leider vergriffen, doch ist auch das englische Original mit gutem Schulenglisch
leicht lesbar. Dennett gab mal bei einem Vortrag folgenden Philosophenwitz zum
besten:
Auf einer Dinnerparty: Gast: sind Sie nicht der berühmte Philosoph X?
Philosoph X: ja, der bin ich.
Gast: Oh, ich habe neulich Ihr neuestes Buch gelesen. Das war wirklich sehr
schwer zu verstehen!
Philosoph X: Vielen Dank für das Kompliment!
Dennett selbst ist kein solcher Verkomplizierer einfacher Sachverhalte. Sein
Buch ist leicht zu lesen, gespickt mit Analogien, Anektoden und
"Intuitionspumpen", sein Begriff für Gedankenexperimente.
Daniel C. Dennett: Darwin's Dangerous Idea.
Im Vergleich zu anderen Ideen und Erkenntnissen in der Naturwissenschaft ist die
Evolution vergleichsweise leicht zu verstehen. Umso erstaunlicher ist es,
dass nicht die alten Griechen, die Babylonier oder die Chinesen diese Idee schon
entwickelt hatten. Dennett zeigt die Denkweise zu Zeiten Darwins auf, die es
dieser Idee so schwer machte den Durchbruch zu erringen. Obwohl die Zeit
sicherlich längst reif war, denn auch andere waren schon mit der gleichen Idee zur
Stelle.
Wenn etwas Komplexes aus etwas Einfachem entsteht, dann steckt immer ein Akteur,
ein Schöpfer dahinter. Wenn die Spinne ein Netz webt, der Biber einen Damm baut
oder der Mensch mit Plänen und Werkzeugen seine Umwelt verändert, immer ist der
Schöpfer
des Werkes komplexer als das geschaffene. Oder wenn William Paley eine Uhr findet,
so erkennt dieser sofort an dem wunderbaren Ineinandergreifen der Einzelteile, dass
ein planender Geist dahinter stecken muss. Dieser Gedanke ist,
wie Dennett sagt, älter als die Menschheit. Und deshalb ist er so schwer zu
überwinden. Darwins Idee war zu ihrer Zeit fast so verrückt, wie wenn uns heute
jemand erzählen würde, dass die Zahl 7 früher einmal eine gerade Zahl war.
Dennett bezeichnet die neue Denkweise als "inversion of reasoning", als
Umkehrung der Schlussfolgerung.
Dennett beschreibt die Evolution als "algorithmischen Prozess". Sie ist kein
Naturgesetz wie die Schwerkraft oder der radioaktive Zerfall, sondern ein
logisches Prinzip, ein Ablauf nach einem einfachen Schema. Seine beliebten
Intuitionspumpen, die im Buch immer wieder auftauchen, sind der Kran und der
Lufthaken. Ein "Kran" ist das Werkzeug welches die Evolution zunächst
selbst erschafft, um sich dann damit aus
dem Sumpf zu ziehen. Mit dem Kran wird ein neues höheres Podest gebaut, auf dem mit
neuen Konzepten und neuen Kränen die Evolution einen Gang zulegt. Der Lufthaken (skyhook) ist
hingegen das Eingreifen von übernatürlichen Kräften, was selbstredend in der
Evolution nicht notwendig ist.
Die Evolution braucht etwas nicht, was wir brauchen: Konzepte. In der
biologischen Evolution kennen wir z.B. das Konzept "Leben". Aber wenn man genau
hinschaut ist das nicht einfach zu definieren. Jedes Konzept erweist sich als
unscharf, wenn man versucht Trennlinien zu ziehen. In der Evolution gibt es
diese neuen Podeste, die neuen Kräne nicht wirklich, es sind nur unsere
Konzepte, die sie erscheinen lassen. Trotzdem gab es in der biologischen
Evolution immer wieder Schübe, bei denen die Geschwindigkeit der Evolution sich
vervielfacht: der Einzeller, die sexuelle Fortpflanzung, und nicht zuletzt der
Geist.
Um den Geist und die Sprache (und ihre gegenseitige Abhängigkeit) geht es im dritten Teil des Buches. Es sind dort viele Ideen zu
lesen, die Dennett in seinem Buch "Die Philosophie des meschlichen Bewusstseins"
ausführlicher beschreibt.
Dennett vergleicht die Entwurftechnik eines Ingeneurs mit der der Evolution.
Während der Ingenieur gewöhnlich einen Top-Down Entwurf macht, sind die Entwürfe
der Evolution immer Bottom-Up. Sie haben kein Ziel, ihre Funktion ergibt sich
erst im Nachhinein. Beim Entwurf des Ingenierus ist es wichtig, dass die
einzelnen Komponenten sich in ihrer Funktion nicht gegenseitig behindern, also
im wesentlichen getrennt voneinander arbeiten und nur an den geplanten
Schnittstellen zusammenkommen. Auch haben die Komponenten meist nur eine
Funktion. In den Entwürfen der Evolution dagegen sind die
Komponenten meist multifunktional und arbeiten an vielen Stellen zusammen,
ergänzen sich und sind regelrecht voneinander abhängig.
Warum Dennett das Wort "gefährlich" in seinem Titel verwendet erschließt sich
mir nicht ganz. Ob es ihm darum geht, dass die Idee der Evolution nicht für
falsche Zwecke misbraucht wird? Dabei ist es doch ganz einfach: die Evolution
beschreibt nicht, wie die Welt sein soll, sondern wie sie ist. Es gibt kein
Sollen, kein Ziel, keine Moral in der Evolution. Aber es gibt eine Evolution der
Moral. Und darum geht es auch im dritten Teil des Buches. Oder er möchte darauf
hinweisen, dass die Evolution das Übernatürliche aus vielen Bereichen hinwegfegt
und das mag ja auch manch einem gefährlich vorkommen. Im Verlaufe der Zunahme
unseres Wissens wird Gott vom Schöpfer aller Dinge zum Auslöser des Urknalls,
vom Schöpfer der Naturgesetze zu deren Entdecker. Letzteres zeigt Dennett am
Besipiel des "Spiel des Lebens" von Conway.
Jedes Kapitel wird eingeleitet mit Zitaten von Dichtern oder Philosophen. Eines
davon ist von Piet Hein:
The road to wisdom?
Well, it's plain and simple to express:
Err and err and err again
but less and less and less.
Das ist also der Weg zur Weisheit: der Weg, den auch die Evolution nimmt
Es gibt noch viele spannende Blicke auf die Evolution aus ungewöhnlicher
Perspektive in Dennetts Buch. Jedes Kapitel birgt neue Überraschungen, und man
muss sie nicht unbedingt in der gegebenen Reihenfolge lesen, obwohl es schade wäre
etwas auszulassen.
, © G. Hofmann, Oktober 2010 |